Einführung Hyperloops –

Denise Bettelyoun, Maschenmuseum Albstadt, 2. 12. 22.
© Dr. Katrin Burtschell


Ich freu mich sehr heute Abend diese Ausstellung hier im Maschenmuseum Albstadt eröffnen zu dürfen. In meiner ehemaligen Funktion als Leiterin der Freien Kunstakademie in Nürtingen, die sich in der historischen Textilfabrik Melchior befindet, war mir die Zusammenführung von textiler Tradition und künstlerischen Prozessen immer ein besonderes Anliegen.

In dieser Zeit vor ca. 8 Jahren ist mir Denise Bettelyoun zum ersten Mal begegnet. Ihre kraftvollen, subversiven und auch humorvollen Arbeiten haben mich direkt angesprochen. Damals hatte ich das Gefühl „das ist genau das, was wir brauchen“ und damit meine ich nicht nur die FKN, die Institution, sondern uns, die Gesellschaft.

Eine Meinung, eine Stimme, die sich erhebt, etwas zum Ausdruck bringt, Kunst, an der man nicht einfach so vorbeikommt oder geht, ist ein wichtiger, regulativer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft. Darum ist für mich Denise Bettelyouns Arbeit wichtiger denn je, denn es ist längst überfällig, dass wir alle uns erheben und sichtbar machen.

Wer sich mit dem Thema Stricken beschäftigt, wird schnell feststellen, dass es sehr viel mit uns zu tun hat, mit dem System, in dem wir leben und dass es spätestens seit der französischen Revolution eng verstrickt ist mit Aufstand, Protest, Bewegung und Demonstration.

Ich möchte hier weiß Gott nicht abschweifen, oder politisch werden, doch eine Aussage des Politikers Wolfgang Schäuble beschäftigt mich als Geisteswissenschaftlerin, die sich intensiv mit Sprache auseinandersetzt, nachhaltig. Wolfgang Schäuble hat jüngst, in Bezug auf die aktuelle weltpolitische Lage geäußert: „Demokratie ist eine Zumutung kein Schnäppchen“. Das Wort Zumutung benutzen wir in unserem Sprachgebrauch als etwas, das uns fast schon unverschämt und ungefragt Engagement abverlangt.

Etwas zumuten, heißt aber Vertrauen zu haben in den Einzelnen, dass er/sie es schafft über sich und seine Grenzen, seine Komfortzone hinauszuwachsen. Das Wort Mut steckt darin und an den appelliert Schäuble. Wir müssen Mut haben etwas dafür zu tun unsere demokratischen Werte Frieden, Freiheit, Gleichberechtigung zu bewahren und zu schützen. Nicht die, die wir so gerne, so oft bemühen, sondern wir!

In diesem Sinne, des über sich Hinauswachsens, seine Schranken und Begrenzungen zu verlassen, sich aktiv einzusetzen, möchte die Textilkünstlerin und Textilaktivistin Denise Bettelyoun ihren Ausstellungstitel Hyperloops verstanden wissen. Riesige Maschen – Schlaufen -, die das für sie vorbestimmte Terrain mutig verlassen und andere Bereiche berühren.

Das Wort bzw. die Suffix Hyper ist in unserer kommerziellen, kapitalistischen Gesellschaft zu einem Synonym geworden für schneller, höher, besser, mehr. Hyper Hyper, Hyper, als würde man ein übersattes Kind immer weiter mit Essen vollstopfen, das es weder verwerten noch verdauen kann.

Denn genau das bedeutet Hyper eigentlich, Zuviel von etwas. Wie paradox ist es also, dass Werbung und Supermärkte mit der Verwendung dieser Silbe dem Verbraucher signalisieren, was ja längst jeder weiß, es ist Zuviel von allem. Wir können, wir wollen das nicht mehr. Und dieses Zuviel kritisiert die Künstlerin mit einer auf den ersten Blick rückwärtsgewandten Technik, dem Stricken. Nicht konsumieren, sondern selbst agieren ist ihre Botschaft.

Und das bedeutet Hyper eigentlich auch, aktiv, agil, beweglich sein. Denise Bettlyoun ist das auf jeden Fall. Ansässig in Sonnenbühl auf der schwäbischen Alb und zurückblickend auf ein Leben mit vielen unterschiedlichen Stationen, bewegt sie sich zwischen verschiedenen Studienschwerpunkten und interdisziplinären Ansätzen. Sie spannt ihre Fäden zwischen künstlerischer Praxis, Lehrtätigkeit und Forschung, zwischen Kunst und dem sogenannten Crafting. Ich benutze hier gerne den englischen Ausdruck, da der im Gegensatz zum deutschen Begriff Handwerk vielmehr im historischen Kontext einer Gegenbewegung steht und dabei auch Geschicklichkeit bedeutet.

Mit ihren Strickarbeiten und Malereien knüpft die Künstlerin an uralte Traditionen und auch Kulturen an. Mittels der Performance erweitert sie ihre Kunst hin zum partizipativen Miteinander. Ihre indianischen Wurzeln klingen in vielen ihrer Arbeiten an, die alle, auch im Sinnbild, des Loops, der Schlaufe, die Vorstellung des ewigen Kreislaufes der Natur, des Werden und Vergehens in sich tragen.

Darüber hinaus sind ihrer Arbeiten eine aktive Gesellschaftskritik. Sie zählt sich zu den Do – It - Yourself-, Critical – Crafting - Gruppierungen und ist eng verbunden mit der britischen subversiven Knitters - Kultur.

Als feministisch geprägte Künstlerin taucht in ihrer Arbeit auch die Kritik an patriarchalischen Machtstrukturen auf. Der überdimensionierte Penis, in der Arbeit phalleri-phallera und die Pistole stehen für diesen Aspekt. Ähnlich wie in Claes Oldenburgs Soft Sculptures bricht sie hier ironisch die eigentliche Bestimmung der Pistole – und auch des Penis – durch die Materialität. Es ist keine Anklage, wer sich hier auf den Schlips getreten fühlt, muss sich wohl eher selbst hinterfragen , es ist vielmehr ein ironisches Aufzeigen.

Eine weitere Dimension tut sich auf in ihren Strickarbeiten von weiblichen Unterleibern, Vulven, Geburtsszenen, Nabelschnüren und Plazentas. Das Urweibliche in Anlehnung an frühe Fruchtbarkeitskulte und Traditionen kommt in diesen Arbeiten zum Tragen. Die Arbeit Brustflügel gruppiert augenzwinkernd vielen Brüste entlang der ausgebreiteten Arme. Bei antiken Darstellungen der Aphrodite finden wir bereits diese Anhäufung von Brüsten am weiblichen Körper.

Frauenfiguren mit üppigen Brüsten und Vulven haben steinzeitliche Jäger und Sammler in Form kleiner Talismane und Handschmeichler begleitet. Einer der ältesten Funde stammt hier von der schwäbischen Alb, die Venus vom Hohle Fels, 40.000 v. Chr.

Die Strickereien von Denise Bettelyoun sind Referenzen an Natur und Fruchtbarkeit. Oftmals musste sich die Künstlerin schon den Vorwurf der Pornographie gefallen lassen. Das ist Quatsch, dann wäre ja die ganze frühzeitliche Kunst pornographisch. Pornographie ist ein Stigma, ein Fluch hochzivilisierter Gesellschaften und taucht immer und überall dort auf, wo ein dekadenter Lebensstil im Überfluss herrscht. Wir sollten uns heute mehr Sorgen über die Pornographisierung unserer Kinder machen, als über Künstler:innen die sich des Obszönen als Ausdrucksmittel bedienen.

Das Zeigen von Geschlechtsteilen ist keine Pornographie, es ist eine Bewusstmachung über unsere Körperlichkeit, unsere Sexualität, unsere Ursprünge, Geburt und Tod, die wie George Bataille in seinem legendären Oeuvre die Tränen des Eros deutlich machte, seit jeher miteinander verbunden sind.

Wer sich an der Arbeit Hole Hearted, einem überdimensionierten Anus stört, sollte daran erinnert werden, dass uns solcher oftmals auch von den Tympanonfeldern und Portalen romanischer und gotischer Kirchen entgegenschaut. Am Hauptportal der Kathedrale von Straßburg furzt uns kräftig ein – verzeihen die Wortwahl - blanker Arsch an. An romanischen Kirchen in Nordfrankreich, England und Irland, zeigen uns die sogenannten Shela-Nan-Gig ihr weit geöffnetes Geschlechtsteil. Reminiszenzen an heidnische Ursprünge und eine mittelalterliche Symbolsprache, die heute nicht mehr verstanden wird. Ein weiters Indiz dafür, wie sehr unsere Wahrnehmung und Empörung ein Produkt einer völlig überzüchteten Zivilisation ist, die gerade im Begriff ist ihren Humor, ihre Ironie und kritische Urteilskraft komplett zu verlieren.

Denise Bettelyouns Fratzen und Gesichter, ihre ornamentalen Verstrickungen, die auch vom Kampf zwischen Mann und Frau erzählen, lassen sich für mich in den unmittelbaren Kontext dieser keltisch, heidnisch geprügten Motive stellen. Der Künstlerin geht es um eine Hinterfragung der Geschlechterrollen. Wenig ist so feminin konnotiert, wie die Handarbeit mit ihrer tradierten Rezeption. Manche ihrer Arbeiten wirken verstörend und ein wenig gruselig. Gerade so, als müsste Textilkunst vor allem nicht schön sein. Denn dem Textilen spricht man einen dekorativen, einen funktionalen Charakter zu. Schützen, wärmen, einhüllen, Bedürfnisse, die mit Wohlgefühl zu tun haben, werde damit assoziiert, diese ins Gegenteil umzukehren ist das Ziel der Künstlerin.

Die gewaltigen großformatigen Arbeiten, die uns hier heute begegnen, entstehen einem Kraftakt gleich mit riesigen, selbstkonzipierten Stricknadeln aus Schlauch und Holz.

Wenn Denise Bettelyoun an diesen Arbeiten strickt, die bis zu 40 kg wiegen, wird sie gleichsam selbst zu einem Teil ihrer Arbeit. Das Besondere am Stricken oder der Handarbeit im Allgemeinen ist, dass wir zu dem Ding werden, an dem wir arbeiten. Beim Stricken nimmt

man die endgültige Gestalt des Materials vorweg, die nächste noch nichtexistierende Phase zu dem es sich hin entwickelt.

Bei der Arbeit ist Denise Bettelyoun verbunden mit dem Material, allesamt Naturmaterialien, Merinoschafwolle, Leinen und Naturpigemente. Durch die haptische Erfahrung dringt die Künstlerin vor zu einem tieferen Verständnis der Dinge. Das buchstäbliche Begreifen steht bei ihr im Vordergrund und dass wir nur durch Einsatz auch unseres Körpers zur Erkenntnis gelangen. Wie fühlt sich die Wolle an? Wie riecht sie? Wie lassen sich die erdigen Pigmente verarbeiten? welche Struktur geben sie ihrer Malerei?


Das Malen mit Erde ist der Künstlerin wichtig. Ihre Pigmente stammen von einem Aufenthalt in Arizona, sie malt damit auf Rohleinwänden, zeichnet mit Rötelkreide vor. Wir erkennen in ihren Malereien ein sich wiederholendes Schema von Zeichen, das archaisch, gegenwärtig, verstörend und spielerisch zugleich ist und ihre indianischen Wurzeln offenbart.

Ihren Zeichnungen liegen Fadenführungen von Klöppelschriften zugrunde. Diese Fadenführungen vergrößert, wecken Assoziationen zu Naturformen. Das Bild mit der Pupille ist eigentlich der innere Kreis eines Spitzendeckchens. Dem Empfinden der Künstlerin nach spricht die Handarbeit immer die Sprache der Natur. Grundstrukturen des Textilen, vom Mikro zum Makrokosmos sind in ähnlicher Form in der Natur vorhanden. Zuletzt wurde uns dies eindrucksvoll vor Augen geführt in den hyperbolischen Häkelarbeiten der Schwestern Wertheim. (Wert und Wandel der Korallen)

Der Umgang mit dem Textilen in der Kunst kann nicht losgelöst betrachtet werden von unseren Wurzeln und Grundbedürfnissen. Was wäre der Mensch ohne das Feuer? Was wäre der Mensch ohne Gewebe, ohne Maschen, die eins mit dem anderen verbinden? Ohne die Fertigkeit aus einem Faden, eine Fläche zu machen? Weben, Nähen, Knüpfen, Spinnen...verknüpfen, verbinden, alles Worte unseres alltäglichen Sprachgebrauchs, bis hin zum World Wide Web. Das Textile wird zum Sinnbild von Vernetzung, Halt, Stabilität. Die einzelnen Maschen, die zum Ganzen werden, sich halten und ein Muster ergeben.

Die Geschichte des Strickens ist vor allem eine Geschichte des Regelüberschreitens und ich denke Denise Bettelyoun wird darauf im Detail in ihrem Vortrag noch eingehen, denn es würde hier zu weit führen.

Die Künstlerin möchte sich mit ihren Arbeiten als Craft - Aktivistin, als radikale Strickerin, verstanden wissen, die mit ihrer Kunst, ihrem umtriebigen Wesen, ihrem „frechen“ Auftreten in die Fußstapfen eines unkonventionell handelnden, literarischen Vorbildes tritt – Pippi Langstrumpf.

phalleri-phallera... ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt, das klingt vielleicht egoistisch, aber genauso gut auch idealistisch.

Pippi Langstrumpf gilt längst als Sinnbild für feministische und anarchistische Tendenzen, für Zivilcourage und Mut. Denise Bettelyouns großformatige Arbeit Braids, die den streng gescheitelten Hinterkopf eines Mädchens mit Zöpfen ziegt, ist eine der symbolträchtigsten Arbeiten in dieser Ausstellung, die alle Aspekte der Künstlerin vereint.


Sie löst ein Strickmuster – das Zopfmuster - aus seinem Kontext zum eigenständigen Kunstwerk, sie spielt an auf die tradierte Rezeption des Strickens und auf alte Zöpfe, die abgeschnitten gehören und sie erinnert mich an die frechen Zöpfe von Pippi Langstrumpf.

Es müssen ja nicht gleich die Tricoteuses der französischen Revolution sein, die strickend unter der Guillotine saßen und die fallenden Köpfe des Adels mit Stricknadelgeklapper begleiteten. Aber ein wenig mehr ziviler Ungehorsam à la Pipi Langstrumpf und Denise Bettelyoun täte uns und unserer Demokratie gut.





© Denise Bettelyoun
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